Wenn Bilder und Briefe zu sprechen beginnen
„Frida im Kopf – ein Zwiegespräch“: Szenische Lesung mit Lore Seichter-Muráth
Von Martina Zick
Dieses Jahr wäre die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo, die „Malerin der Schmerzen“, hundert Jahre alt geworden. Anlass für die Berliner Schauspielerin Lore Seichter-Murath, die in Leonberg geboren und aufgewachsen ist, sich mit Kahlo, ihrem Leben und Leiden, auseinanderzusetzen. Am Donnerstag ist sie mit ihrer szenischen Lesung „Frida im Kopf – ein Zwiegespräch“ in der Leonberger Bücherei zu Gast gewesen. Und hat damit offenbar den Nerv getroffen: Immer noch mehr Stühle mussten aufgestellt werden.
Gleich einer Collage setzt sich das Kahlo-Bild zusammen, das Seichter-Murath auf virtuose Weise entwirft. Manchmal ist ihr Vortrag zwar etwas zu laut, zu empört oder auch zu betont sachlich, die vielen Puzzleteile ergeben dennoch ein klar konturiertes und lebendiges Ganzes. Besonders, weil Seichter-Muráth die Künstlerin nicht überhöht, ihr aber dennoch mit Sympathie und großem Einfühlungsvermögen begegnet. Aus Briefauszügen Kahlos und anderer, aus Tagebuchaufzeichnungen, biografischen Notizen, eigenen Szenen und sehr persönlicher Werkbeschreibungen lässt sie eine starke Frau erstehen, die das Leben liebt und die am Leben leidet.
Zeitlebens hat Kahlo mit den Folgen eines Busunfalls zu kämpfen, bei dem sich der 18-Jährigen eine Eisenstange in den Unterleib bohrt. Der Schmerz, den sie erleidet, wird bei Seichter-Muráths Vortrag fast physisch spürbar. Und die Verzweiflung, die die Lebenslustige immer wieder übermannt, weil sich das Leben anderswo abspielt. „Im Bett“, schreibt sie an ihren Freund, „ist so viel Leben wie im Grab.“ Doch im Bett beginnt Kahlo auch zu malen. In ihrem kurzen Leben – sie stirbt 47-jährig – wird sie Mexicos bekannteste Malerin. Sie heiratet 1929 Diego Rivera, durch seine politisch-revolutionären Wandbilder bereits berühmt, tritt in die kommunistische Partei ein und wieder aus, lässt sich von Rivera wegen seiner Untreue scheiden und heiratet ihn wieder, hat ein Verhältnis mit Leo Trotzkij, lernt den französischen Schriftsteller André Breton kennen, der sie zu der mexikanischen Surrealistin erklärt.
Einige von Kahlos Arbeiten greift Seichter-Muráth heraus und fügt sie als gemalte autobiografische Notizen der Künstlerin ins Gesamtbild ein. Etwa die Lithografie „Fehlgeburt“ von 1932 oder „Die gebrochene Säule“ von 1944, wobei die Schauspielerin das Bild nicht einfach wie ein Bild beschreibt, sondern voller Emotion wie eine Szene, eine Begebenheit. Sie liest darin, sieht die Geschichte hinter dem Bild. Es gelingt ihr, über ihre ungewöhnliche und persönliche Art der Bildbeschreibung den Menschen Kahlo nahezubringen. Ihre szenische Collage insgesamt umrahmt Seichter-Muráth mit den Erzählungen einer heutigen Reisenden, die in Mexico-City mit dem Bus unterwegs ist zu Kahlos und Riveras „Blauem Haus“. Fast unmerklich gleitet das Publikum so aus der Gegenwart hinüber in das Leben und die Welt Frida Kahlos, leidet, hofft und freut sich mit ihr.